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© Herbert Frei

by Herbert Frei 3.06

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Die Zeiten der großen Einsamkeit auf Safaris im Roten Meer sind vorbei. Die Zahl der Liveaboards hat sich in den letzten Jahren vervielfacht und so tummeln sich an den abgelegensten Tauchspots so viele Tauchboote, wie man es ähnlich rund um Hurghada erlebt. Herbert Frei versuchte einen Blick hinter den allgegenwärtigen Blasenvorhang.

Wer in den Süden von Ägypten will, bucht am besten einen Flug nach Marsa Alam. Das ehemalige Fischerdorf besitzt mittlerweile einen eigenen internationalen Flughafen, der allerdings wie ein Tante-Emma-Lädchen erst um 9:30 in der Früh seine Pforten öffnet. Die Pläne der Investoren zielen auf eine Lagunenstadt wie Venedig. So soll ein Kanal zum Flughafen gegraben werden, damit die Gäste ohne Zeitversäumnis dort gleich aufs Schiff gehen können. Das mag dekadent sein, aber die Realität ist in Ägypten schlimmer als die Wirklichkeit. Es wird auch wenig bringen, hier ökologische Argumente gegen diesen Bauwahn ins Feld zu führen. Ägypten will seine Stellung als führende Touristennation in Nordafrika ausbauen. Dazu sind alle Mittel recht. Jedenfalls fast alle. Und noch eines ist sonnenklar. Tauchen im Roten Meer kann sich auch noch der Kleinverdiener und Familienvater ab und an leisten. Somit avanciert das Europa nächstgelegene tropische Meer auch zu einer geschätzten Feriendestination, die viele für einen Kurztrip ins Auge fassen, um dort gerade mal eine Woche untertauchen.
Ungezügeltes Tauchen erlebt man, wenn überhaupt, im Pharaonenstaat am Nil nur noch auf einem Tauchschiff. Wie viele Tauchschiffe sich in ägyptischen Tauchgewässern tummeln, ist ein streng gehütetes Geheimnis. Vielleicht will man es auch nicht sagen. Die Zahlen schwanken zwischen 1000 und 3000 Tauchbooten. Egal, welche Angabe nun stimmt, der Alptraum ist sehenswert, was die Frequentierung der Riffe anbelangt. Nur selten wird es deshalb gelingen, an einem Tauchplatz mit seinen Mitstreitern allein zu sein. Das geht eigentlich nur außerhalb der Saison…und die dauert in Ägypten zwischenzeitlich 12 Monate. Selbst im kalten und unwirtlichen Januar, buchen Unverwüstliche die wildesten Trips bei steifen Brisen und meterhohen Wellen.
So tritt ein, was man eigentlich nicht wollte, es aber irgendwann fatalistisch über sich ergehen lässt: Ein Meeting mit weiteren 10, 15 oder 20 Schiffen an einem Tauchplatz und demzufolge unter Wasser Szenen wie am Brandenburger Tor in der Silvesternacht.
Kann man unter diesen Umständen überhaupt noch vernünftig filmen und fotografieren? Erstaunlicherweise passt man sich den Gegebenheiten an und produziert, wenn auch mit einiger Mühe, doch noch sehenswerte Shots und Sequenzen. Etwas Schwierigkeiten bekommt man als Fotograf natürlich an visuell schönen und dementsprechend überproportional häufig besuchten Lokalitäten. Dann heißt es auch mal warten, bis die Meute vorbeigeschwommen ist und anschließend schnell agieren, bevor ein neuer Trupp ins Bild schwimmt. Die Härte in Vollendung sind Nachttauchgänge an strömungsarmen und flachen Riffen. Da wird die Nacht zum Tage, bevor sie zu Ende ist. Zeitweilig kann man ohne Lampe tauchen, so hell ist es, wenn die Brenner von 100 Tauchern die Unterwasserlandschaft erhellen. An dieses Lichtermeer haben sich aus strategischen Gründen die Rotfeuerfische angepasst. Sie jagen vorzugsweise im Schein der Handlampen ihre Beute. Ungefährlich ist das nicht, denn die dick und fett gefressenen Giftfische zwängen sich mit hochgestellten Rückenstacheln unter Bauch und Beinen durch, um an die vom Scheinwerferkegel geblendeten Kleinfische zu gelangen. Das ist schlicht zirkusreif. Ein Kabarettstückchen ist auch das Wiederfinden des eigenen Bootes, wenn sich 15 ähnliche Schiffe am Tauchplatz eingefunden haben. Nur an markanten, ins Wasser hängenden Gegenständen (Fahnen, Tauchblei, Dekoflasche etc.) kann man seinen Kahn unbedenklich orten. In der Masse der Rotmeertaucher finden sich auch etliche, die augenscheinlich nur des Aufpassens wegen in dieses Gebiet gereist sind. Mit pflichtbewusstem Eifer beobachten sie alle anderen und analysieren deren Fehler. Bodychecks, Vogel zeigen oder mit der Faust drohen sind gängige Attribute, um entspannt tauchende Mitmenschen auf ihre Unzulänglichkeiten aufmerksam zu machen. Insbesondere Filmer und UW-Fotografen können nie sicher sein, Gegenstand gezielter Attacken zu sein. Im Sand knien gilt mittlerweile als verwerflicher, als wenn einer alten Oma die Handtasche geklaut wird.
Mit diesen Entwicklungen, Irrungen, Wirrungen und pathologischen Verhaltensweisen muss man im nördlichen Roten Meer (Ägypten) notgedrungen leben und sich entsprechend anpassen. Eigenartigerweise gewöhnt man sich im Laufe einer Reise an solche zwischenmenschliche Kapriolen und nimmt sie nur noch im Unterbewusstsein wahr. Denn das Rote Meer hat trotz aller berechtigten Kritiken immer noch viel zu bieten und ist deshalb für Kurzurlaube auf einem adäquaten Tauchschiff jederzeit eine Reise wert.
An den Riffen von St. Johns, nur 60 km von der Grenze zum Sudan entfernt und damit der südlichste Tauchspot für ägyptische Liveaboards ist man schon lange nicht mehr unter sich. Taucherischer Tumult unter Wasser gehört wohl  nun zur Tagesordnung. St. Johns wird regelmäßig von vielen Tauchschiffen angefahren, was naturgemäß zu erlebnisreichen, aber nicht immer berauschenden Begegnungen führt. Einhundert Taucher gleichzeitig im Wasser sind keine Seltenheit. Dann muss man sich Lücken in den Blasenvorhängen suchen, damit man wenigstens das Riff zu sehen bekommt.
Dieser Tauchfabrik zu entkommen ist sehr schwierig. Besonders dann, wenn das Wetter nicht ideal ist und starker Wellengang das Anfahren entlegener Korallenblöcke verhindert. Zwangsläufig treffen sich dann die Bootstaucher von 15 oder mehr Schiffen fast alle an einem Riff. Allein ist man nur noch während der Mittagspause, wenn alle beim Essen sind. Auch Early - Morning - Dives bringen wenig, wenn einem die ersten schon um 6:00 entgegenkommen, weil sie bereits um 5:30 hineingesprungen sind.
Am nur 10 Meter tief liegenden Wrack bei Abu Ghalib Soraya braucht man viel Geduld. So schön die Kulisse ist, sie bereitet professionellen UW-Fotografen Probleme, wenn man kreativ tätig sein will, weil  ständig eine Handvoll Schiffe vor Anker liegen und deren Gäste wollen natürlich das kleine Wrack ausgiebig erkunden. Schließlich liegt es nicht tief und es herrscht selten Strömung. Deshalb geht es hier am Mini-Wrack auch zu wie auf der Kirmes. Dutzende Taucher mit  Digicams machen den Grund und Boden unsicher, dringen ins Wrack hinein, blitzen mal hier mal dort in die Gegend. Um ein Bild der Kulisse mit einem Model machen zu können, hat der Autor fast 20 Minuten warten müssen. Dann war für etwa 3-4 Bilder die Szene taucherfrei. Wer Pech hat, verbraucht für ein wirklich gut gestaltetes Bild die ganze Atemluft, weil Tauchgruppe um Tauchgruppe vorüberzieht. Elphinstone ist eines der berühmtesten Riffe im Roten Meer. Und leider auch eines der frequentiertesten, zumindest in den Herbst- und Osterferien. Zu den Safaribooten gesellen sich noch jede Menge Tagesausflügler aus den nahe gelegenen Hotels und Clubs, so dass sich schon mal 15 bis 20 Tauchschiffe hier einfinden können. Hier lockt in erster Linie das weltweit bekannte Longimanus – Rudel, das durch Speisereste, die von der Crew der Safariboote ins Wasser geworfen werden, standorttreu geworden ist. Die Wesensveränderung der Haie dort ist nicht abzustreiten. Ob es nur jugendlicher Übermut der noch nicht erwachsenen Tiere ist, der Versuch eines kumpelhaften Spiels mit den Tauchern, wer weiß es zu deuten? Die jeglichen persönlichen Sicherheitsabstand selbst außer Acht lassenden Tiere zeigen sich nicht selten aufdringlich und im Verhalten kaum einschätzbar.  Martina Frei, die Tochter des Autors, konnte sich vor einem zudringlichen Longimanus nur retten, weil sie mit den Flossen nach ihm trat. Zerbissene Fins, Attacken mit Bissen in Arme und Beine sind verbürgt, werden aber mit Rücksicht auf den Fremdenverkehr nicht weiter verbreitet. Zum Glück sind die Einzeltiere des Longimanus - Rudels nicht besonders groß - so etwa 2 m bis 2,3 m. Sie halten sich vermutlich nur zurück, weil eben Taucher mit Flossen auch nicht viel kleiner sind. Ausgewachsen misst ein Longimanus ca. 4 m und ist dann mit äußerster Vorsicht zu genießen. Vor Jahren gab es hier ein solches Exemplar. Es musste gewaltsam entfernt werden, weil genussvolles Tauchen nicht mehr möglich war.

Wer hätte gedacht, dass es nun schon 4 Flugstunden entfernt von Deutschland nicht mehr so einfach ist den Spuren von Hans Hass einigermaßen ungestört folgen zu können? Doch das ist eben der Preis der erschwinglichen Mobilität. Dessen muss man sich klar werden, für eine Handvoll Dollar kann man sich nicht mehr exklusive Erlebnisse erkaufen, dafür sind die Reisewege wesentlich bequemer geworden und die Qualität der Safariboote hat vielfach das Niveau von gut ausgestatteten Hausbooten erreicht. Der Luxus mancher Liveaboards ist nun das Entscheidende und nicht mehr die Tauchplätze, die sie ansteuern. Die Zeiten ändern die Sitten.... sagten schon die alten Römer.